Fachreise nach Estland

Die Teilnehmer der Fleischrinder Austria Fachreise nach Estland

Erstmals wurde von Fleischrinder Austria eine österreichweite Fachreise, die nach Estland führte, durchgeführt.  In Zusammenarbeit mit den estnischen Kollegen wurden Betriebsbesichtigungen, Vorträge und der Besuch einer Landwirtschaftsmesse organisiert. Stadtführungen und der Besuch eines Nationalparks rundeten die fünftägige Reise ab.

Mit rund 45000 km² ist Estland rund halb so groß wie Österreich, mit einer Einwohnerzahl von 1.32 Millionen allerdings deutlich weniger dicht besiedelt. Land- und Forstwirtschaft und die nachgelagerte Industrie sind wichtige Wirtschaftszweige des Landes. Eine turbulente Geschichte (Estland stand im Laufe seiner Geschichte unter anderem unter der Herrschaft von Dänemark, Schweden, Russland und Deutschland) endete 1990, als das Land unabhängig von der Sowjetunion wurde. 2004 wurde Estland Mitglied der europäischen Union und seit 2011 führen sie den Euro als Zahlungsmittel.

Die ehemaligen Kolchosen und Sowchosen gingen wieder in Privatbesitz über und der Aufbau der Fleischrinderzucht begann. Zu Sowjetzeiten wurden größtenteils Milchkühe gehalten, zudem waren ca. 1500 Hereford im Land. Mit Ende dieser Periode sank die Zahl der Fleischrinder. Nach der Unabhängigkeit kam es wieder zu einem Anstieg durch die Kreuzung von Milchrassen mit Fleischrinderstieren. 1995 wurden die ersten Limousins aus Finnland importiert, 2000 wurde der estnische Fleischrinderverband gegründet. Für ganz Estland gibt es einen gemeinsamen Rinderzuchtverband.

Noch heute zählen Herefords mit einem Rassenanteil von 18 % neben Angus (24 %) und Limousin (21 %) zu den größten Fleischrinderrassen in Estland. Es folgen Fleckvieh-Simmental,  Charolais und Schottisches Hochlandrind. Importiert wurden die Zuchttiere vor allem aus europäischen Ländern, wobei aus Dänemark, Deutschland und Finnland die meisten Tiere kamen.  In den vergangenen Jahren kamen auch Importtiere aus Österreich dazu: Herden der Rasse Tiroler Grauvieh werden gerade aufgebaut.

Bedingt durch das Klima im Sommer und durchwegs guter Bodenverhältnisse steht den Tieren auf den Weiden eine sehr gute Futtergrundlage zur Verfügung. Fast alle Mutterkühe werden im Sommer auf der Weide gehalten. In einigen Gegenden werden die Fleischrinder auch gezielt zur Landschaftspflege eingesetzt, wofür es auch entsprechende Unterstützung gibt.

Auf der Rundreise durch Estland wurden sieben Betriebe besichtigt, auf denen die Rassen Angus, Blonde d‘ Aquitaine, Charolais, Hereford, Limousin, Schottisches Hochlandrind und Tiroler Grauvieh  gezüchtet werden. Auffallend dabei war der hohe Anteil an Biobetrieben und auf allen Betrieben die hohen Standards in Bezug auf das Tierwohl. Vor einigen Jahren startete die Firma Vianco gemeinsam mit den Zuchtverbänden und anderen Partnerbetrieben aus dem Baltikum die Marke „Baltic Grassland Beef“. Neben Vorschriften in Bezug auf die Tierhaltung ist auch vorgeschrieben, dass mit Fleischrinderrassen produziert wird. Die hochwertigen Teilstücke der Schlachttiere werden unter anderem in der Schweiz und in Italien vermarktet.

Ein weiterer momentan wichtiger Markt für männliche Absetzer aus der Mutterkuhaltung ist die Türkei. Neben der Türkei pflegt der estnische Rinderzuchtverband auch Beziehungen zu anderen Ländern in Osteuropa und Vorderasien wie z.B. Georgien, Kasachstan und Usbekistan. Auch das Nachbarland Russland war bis zu den Sanktionen naturgemäß ein wichtiger Handelspartner. Fleischrinder-Zuchttiere werden überwiegend an estnische Betriebe und in die Nachbarstaaten verkauft.

Anguszuchtbetrieb Marmorland – www.marmorland.ee

Familie Marmor bewirtschaftet einen 420 ha umfassenden,  gepachteten Biobetrieb. 180 ha sind Ackerland, auf dem überwiegend Getreide und Erbsen angebaut werden, der Rest ist Grünland.  2006 wurden aus der Rosemountherde in Schottland  37 weibliche Aberdeen Angus Jungrinder und 2 Zuchtstiere angekauft, ein Jahr darauf wurden aus der gleichen Herde nochmals 35 weibliche Jungrinder erworben. Im Deckeinsatz ist momentan unter anderem der aus Schottland stammende Stier Wedderlie Bonhomie L450. Die Tiere stehen sowohl unter estnischer als auch unter britischer Leistungskontrolle und alle Tiere sind Herdebuchtiere. Im britischen Herdebuch führt der Betrieb den Herdenpräfix Marmorland. Die weiblichen Tiere werden entweder zur Bestandsergänzung verwendet oder in die Zucht verkauft. Bei den männlichen Jungstieren wird ein kleiner Teil ebenfalls für den Deckeinsatz verkauft, der Großteil der männlichen Absetzer wird in Türkei verkauft.

Herefordzuchtbetrieb „Tsura Talu OÜ“ www.hereford.ee

Hinter dem 1025 ha großen Betrieb Tsura Talu steht eine Gesellschaft, Verwalter ist Margus Keldo. Der Betrieb umfasst 500 ha Forst und 525 ha Grünland. Gehalten werden 336 reinrassige Hereford (150 Kühe, 16 Zuchtstiere, 81 männliche und 61 weibliche Jungrinder), 500 Schafe (estnische Weißköpfige und Texel) sowie 24 Pferde. Seit 2005 wird der Betrieb biologisch bewirtschaftet. Bis 2014 wurden die Rinder ganzjährig im Freien gehalten. Dann wurde ein Außenklimastall mit Tiefstreu errichtet. Die Deckstiere stammen aus Dänemark, England und Kanada, 2015 wurde außerdem mit künstlicher Besamung gestartet. Im Sommer wird ausschließlich Weidehaltung betrieben, im Winter werden Heu und Grassilage gefüttert.

Nakatu Hof – www.nakatu.ee

Familie Järvmägi bewirtschaftet einen 160 ha großen Betrieb auf dem Hereford und Tiroler Grauvieh gehalten werden. Sie betreiben eine „Tourist Farm“, wo unter anderem Firmen Seminare abhalten und Jagdgäste beherbergt werden. Um die Landschaft zu pflegen entschied man sich 2004 für Fleischrinderzucht. Zuerst kamen Herefords auf den Betrieb, 2015 kamen die ersten Tiroler Grauvieh an. Die Tiere werden ganzjährig im Freien gehalten.

Züchterabend

Am Nakatu-Hof fand ein gemeinsamer Abend mit den Kolleginnen und Kollegen vom estnischen Zuchtverband statt. Zuchtleiter Ilmar Kallas gab in einem Vortrag einen Überblick über die Entwicklung der estnischen Fleischrinderzucht. Zur Weiterbildung stehen Exkursionen ins Ausland und die Teilnahme internationalen Kongressen genauso am Programm wie Fortbildungsveranstaltungen im Inland. Tanel Bultiko, Geschäftsführer des estnischen Rinderzuchtverbandes berichtete über die Rinderzucht in Estland und das Engagement des Verbandes in anderen Ländern. Fleischrinder Austria Obmann  Hans Harsch richtete Grußworte an die Kollegen aus Estland und bedankte sich für die tolle Organisation vor Ort. Anna Koiner gab einen kurzen Überblick über die Entwicklung der Fleischrinderzucht in Österreich. Der Abend bot eine ideale Möglichkeit um Kontakte zu knüpfen und fand seinen Ausklang bei interessanten Gesprächen.

Vilsi Angus – www.vilsiangus.ee

Familie Tomson bewirtschaftet einen 100 ha umfassenden Biobetrieb im Nebenerwerb. Neben dem Betriebsleiterehepaar, die beide auch außerhalb der Landwirtschaft erwerbstätig sind, arbeiten auch die Eltern vom Betriebsleiter mit. 2012 wurde mit der Zucht von reinrassigen Aberdeen Angus, die hauptsächlichen am Betrieb Marmorland erworben wurden, begonnen. Zwei Deckstiere stehen am Betrieb, ein Sohn vom  Wedderlie Bonhomie L450 aus der Marmorland Herde und ein Sohn von SAV Final Answer 0035, mit einer amerikanisch-kanadischen Linienführung.

Topi Hof

Aldo Vaan, Obmann des estnischen Fleischrinderverbandes bewirtschaftet gemeinsam mit seinem Sohn und einigen Angestellten einen 800 ha umfassenden Betrieb, wovon 380 ha Acker (überwiegend Winterweizen und Winterraps dazu noch Gerste, Hafer, Erbsen, Bohnen und Buchweizen). Der Start für den Betrieb war 1991, als 3 ha bewirtschaftet wurden und ein paar Pferde und Milchkühe gehalten wurden. 2001 folgte der Einstieg in die Fleischrinderzucht durch den Kauf eines Deckstieres, 2002 kamen die ersten reinrassigen weiblichen Tiere. 2004 wurden sieben Limousin aus Finnland gekauft, es folgten Importe von Tieren aus Deutschland und Frankreich. Der Rinderbestand umfasst derzeit 145 reinrassige Limousin und 155 Kreuzungen (davon 125 Mutterkühe und 5 Zuchtstiere) sowie 20 reinrassige Blonde d‘ Aquitaine und 57 Kreuzungstiere (25 Kühe und 2 Deckstiere). Darüber hinaus werden 14 Pferde der Rasse Tori (eine lokale estnische Pferderasse) gehalten. Die Rinder werden von Oktober bis Mitte Mai im Laufstall mit Tiefstreu gehalten, gefüttert wird Heu und Silage.

Ohtla Farm

Der Charolaiszuchtbetrieb, der zur  Ovolex OÜ (ein Unternehmen, das Masthuhn-Bruteier produziert) gehört bewirtschaftet 600 ha Grünland. Managerin ist Mariliis Vahar, dazu sind vier weitere Arbeitskräfte am Betrieb. Gehalten werden 400 Rinder (170 Mutterkühe, 70 Jungrinder und 6 Zuchtstiere). Die noch relativ junge Zuchtherde wurde vor allem mit Tieren aus Schweden (dort wurden 160 Tiere von 2012 bis 2013 gekauft) und Finnland aufgebaut. Dazu sind auch Deckstiere aus Frankreich im Einsatz. Im Winter werden die Tiere auf Tretmist oder Tiefstreu gehalten. Dazu wird gerade noch ein Stallzubau errichtet. Pro Kuh sind 11 m² vorgesehen, zusätzlich wird noch ein Auslauf errichtet. Ein Großteil der im Sommer beweideten Wiesen sind Naturschutzflächen. Man hat sich dennoch für die Rasse Charolais entschieden und bisher gute Erfahrungen gemacht.

Kruundi Hof, OÖ Westfarm

Arne Tamm bewirtschaftet im Nordosten Estlands seine 1992 gegründete Landwirtschaft.  539 ha sind Acker (Winterweizen, Winterraps, Sommerweizen, Gerste, Erbsen, Sommerraps) und 211 ha Grünland. Auch hier ist das Weideland zu einem beträchtlichen Teil Naturschutzgebiet. Gehalten werden 170 Hereford-Rinder (mit 2 Deckstieren) und einige Angus.  Außerdem weiden im Sommer auf den Naturschutzwiesen 81 Schottische Hochlandrinder (davon 1 Zuchtstier). 2010 wurde für die ein rund 1400 m² großer Außenklimastall errichtet.

Im Anschluss an die Betriebsbesichtigung wurde eine „Schule am Bauernhof“ im Naturschutzgebiet besichtigt. Flächen, die während der Eiszeit unter Wasser waren steigen langsam und sind überwiegend mit Schilf bewachsen. Um aber als Fläche vor allem für Vögel und auch für andere Tiere zur Verfügung zu stehen, ist eine entsprechende Pflege notwendig. Dies geschieht vor allem durch die Beweidung mit Rindern. Schottische Hochlandrinder und auch Galloway eigenen sich für diese Art der Landschaftspflege besonders gut und diese Rassen werden daher überwiegend in den Küsten- und Inselregionen Estlands gehalten. Im Matsalu National Park, einem der größten Vogelschutzgebiete Europas wurden auch das Museum und ein Aussichtsturm besucht.

Ihren Ausklang fand die fünftägige Reise in Estlands Hauptstadt Tallinn. An dieser Stelle nochmals ein großer Dank an Ilmar Kallas und Aldo Vaan für die große Hilfe bei der Organisation unseres Besuches und an die estnischen Fleischrinderzüchter für die informativen Betriebsvorstellungen und die Gastfreundschaft. Bedanken möchten wir uns auch bei Eveli Reiß. Die gebürtige Estin lebt seit nunmehr 12 Jahren im Weinviertel, wo sie mit ihrem Mann einen Anguszuchtbetrieb führt. Sie hat uns auf der Reise als Übersetzerin begleitet und konnte viel Wissenswertes über ihr Heimatland berichten. Das Resümee ist eindeutig: Estland ist auf jeden Fall eine Reise wert und wir können einen Besuch nur empfehlen!

Autorin: Anna Koiner